Helmut Lachenmann

*  27. November 1935

von Elke Hockings und Jörg Jewanski Eberhard Hüppe

Essay

Eingang

»Der Gegenstand von Musik ist das Hören, die sich selbst wahrnehmende Wahrnehmung« (Lachenmann 1996 [1985], 117). Die Bedingungen des Hörens in der Wahrnehmung selbst zu erfahren, ist Ziel der ästhetischen Überlegungen Lachenmanns. Als Sinnesfunktion eigenen Rechts deckt das Hören einen psycho-physiologisch, anthropologisch und kognitiv spezifizierbaren Leistungsbereich ab. Weil das Hören von Kommunikation und Handeln nicht zu trennen ist, weil das musikalische Erleben und kompositorische Handeln mitsamt der Erfahrung der akustischen Umwelt von gesellschaftlicher Durchdringung zeugt, kann es zum Gegenstand einer arbeitsethischen Selbstverpflichtung werden. »In der Praxis bedeutet solches Hören Konzentration des Geistes, also Arbeit. Arbeit aber als Erfahrung des Eindringens in die Wirklichkeit, als fortschreitende Selbsterfahrung, ist eine Glückserfahrung« (Lachenmann 1996 [1985], 118).

Die anthropologische Dimension, welche diesen Kompositionsbegriff trägt, ist historisch verwandt mit Johann Gottfried Herders Anthropologie der Sinne und des Ausdrucks. Mit neueren wissenschaftlich fundierten Theorien des Hörens stimmt Lachenmann darin überein, dass »das Hören selbst schon ein Tun« ist (Waldenfels 1999, 195). Der ästhetische Gegenstand solchen Tuns ist das kulturell und historisch expressiv bestimmte musikalische Material. Stets geht es Lachenmann darum, die expressiven Programme künstlerischer Selbstverwirklichung auch ...